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Ist Newtopia an Big Brother gescheitert?

Faketopia, Candy-Wirbel, faule Pioniere und Skandale prägten das Image von Newtopia. Doch auch ohne diese Vorfälle wäre Newtopia zum Scheitern verurteilt gewesen, findet zumindest BBfun-Autor Christian und gibt die Schuld dem großen Bruder.

Newtopia Big Brotehr Logo
(c) Sat.1/Andre Kowalski/Talpa/Endemol

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Vermutlich könnten wir Tage darüber diskutieren, weshalb Newtopia gescheitert ist. Die Produktionsfirma Talpa hatte sich immerhin einige heftige Schnitzer erlaubt. Zu nennen wären beispielsweise der nur unzureichend aufgearbeitete Faketopia-Skandal rund um die Regieanweisungen der angetrunkenen Produzentin gewesen oder sämtliche Peinlichkeiten rund um Candys Rauswurf, Wiedereinzug und Wiederrauswurf. Auch einige Pioniere machten ihrem Namen nur wenig Ehre und faulenzten lieber statt die Ärmel hochzukrempeln. Doch hätte das Format auch eine Chance gehabt, wäre die Produktion nicht so aus dem Ruder gelaufen? Ich stelle die These auf, dass der inoffizielle Big Brother-Nachfolger auch dann gescheitert wäre, wenn es weniger Pleiten, Pech und Pannen gegeben hätte.

Newtopia: Mal zu viel Big Brother, mal zu wenig Big Brother

Schon beim Start las man im Internet von zwei enttäuschten Gruppen. So gab es Zuschauer, die sich von der Soap Newtopia mehr erwartet haben, als Kandidaten, die letztlich ein eigenes Unternehmen aufbauen und dazu ständig mit der sogenannten “alten Welt” Geschäftsbeziehungen eingehen. Sie wünschten sich mehr Survival als Big Brother und mussten zwangsläufig enttäuscht werden. Aber es gab auch Zuschauer, die sich grundsätzlich für die Idee interessierten, für die jedoch zu wenig Big Brother in Newtopia steckte.

In Foren gab es unzählige Beschwerden über die Tatsache, dass das als Soap angekündigte Newtopia tatsächlich wie Soap angelegt war. Das bedeutet, dass die Zusammenfassungen im TV nicht die Ereignisse vom Vortag zusammenfassten, sondern dass Geschichten aufeinander abgestimmt und mit größerem Zeitversatz im Fernsehen gezeigt worden sind. Doch das war nicht das einzige Problem, das Big Brother-Fans mit dem als BB-Nachfolger gehandelten Format hatten. So mussten einige Zuschauer durchaus mit Verwunderung feststellen, dass Sat.1 – wie auch SBS6 beim holländischen Original Utopia – auf eine wöchentliche Liveshow verzichte, Auszüge nur einmal im Monat geplant waren, Zuschauer nur bei der Nominierung und nicht bei der Rauswahl mitreden könnten und auch spektakuläre Matches fehlten.

Newtopia ist inhaltlich schwächer als Big Brother

Auch die Zuschauer, die im Jahr 2000 bei der ersten BB-Staffel für die Etablierung von Reality-Formaten im deutschen Fernsehen sorgten, konnten somit bei Newtopia nur enttäuscht werden. Die Kritik ist dabei durchaus gerechtfertigt. Denn das als Big Brother-Nachfolger gehandelte Format ist inhaltlich eher ein Vorgänger. Längst musste schließlich auch der große Bruder lernen, dass es nicht mehr ausreicht, 10 bis 15 wildfremde Personen in einem Haus oder eben auf ein Gelände zu sperren. Weltweit versuchen die Big Brother-Macher durch gezielt ausgewählte Aufgaben oder explosiven Kandidaten für Zündstoff im BB-Haus zu sorgen. Selbst in den Ländern, in denen nicht für Zoff am laufenden Band gesorgt wird, versuchen die Macher immer öfters eher durch eine Reihe von Spielereien, sogenannten Twists, anstatt besonderer Persönlichkeiten Aufmerksamkeit zu erregen.

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Aus Sicht von Produzenten mag das auch ganz reizvoll sein. Wieso darauf hoffen, dass sich Bewohner zoffen oder von selbst eine Heldenreise antreten, wenn man das Enthüllungen von Nominierungen, simulierte Armut und herausfordernden Challenges ein Stück weit provozieren kann? Doch dieser Weg birgt einige Gefahren. Wer Spannung von außerhalb provoziert, sogar schon fast scripted, und ständig entwertet am Ende das Normale und Gewöhnliche. Diese Erfahrungen mussten auch schon die Produzenten von Castingshows oder anderen Reality-Formaten machen.

Kein Interesse mehr für Alltagsgeschichten

Auch Newtopia wäre mit diesem Problem konfrontiert worden, inhaltlich nicht mehr mit anderen Sendungen mithalten zu können. Dass die Pioniere fast bei Null anfingen – okay, mit 5.000 Euro, Handy, Dach über den Kopf, Elektro- und Wasseranschluss sowie mit einigen Tieren gestartet sind – wäre im Idealfall kein Dauerzustand gewesen. Wären die Teilnehmer fleißiger und kreativer mit ihren Ideen gewesen, hätte schnell eine neue Welt aufgebaut werden können, die sich kaum von der alten Welt unterscheidet. Streitpunkte wären neben den Problemen des Alltags allenfalls Fragen gewesen, ob man ein Staatsoberhaupt wählt oder Entscheidungen in der Gruppe trifft. Das wäre für ein tägliches Format jedoch nicht genug, wenn jede andere Soap oder Reality-Show mit einem hohen Tempo, fiesen Aktionen oder schockierenden Geschichten sowie überraschenden Wendungen aufwarten können.

Der große Bruder ist eben doch Schuld am Newtopia-Aus

Angesichts dessen wundert es nicht, dass Newtopia in Deutschland und in den USA gefloppt ist, während die Sendung in den Niederlanden und in der Türkei durchaus ein Erfolg ist. Sowohl hierzulande als auch in Amerika hat Big Brother das Reality-Fernsehen geprägt wie kaum ein anderes Format. Twists und wöchentliche Rauswahlen wurden seit BB quasi Pflicht im Genre. In den Niederlanden und in der Türkei gibt es derzeit dagegen keine Reality-Sendungen, die das Genre prägen und bei den Zuschauern eine bestimmte Erwartungshaltung hervorrufen könnten. Im Heimatland Holland lief Big Brother beispielsweise nur von 1999 bis 2002 und dann nochmals von 2005 bis 2006. 2011 folgte eine wenig erfolgreiche Staffel der BB-Weiterentwicklung Secret Story. Im türkischen Fernsehen lief indes von 2001 bis 2007 eine Adaption des ORF-Formates Taxi Orange, das die Österreicher als direkte Antwort auf Big Brother entwickelten. Der große Bruder war in der Türkei dagegen bislang nicht vertreten, startet dort aber noch in diesem Jahr einen Ableger. Auch in China, dort ging Newtopia kürzlich mit angepasstem Konzept an den Start, gibt es noch kein Big Brother – wobei sich auch das im Laufe des Jahres ändern wird.

Big Brother schlägt Newtopia, Käfig schlägt BB

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Dass sich zwei ähnlich gelagerte Formate zu sehr in die Quere kommen, musste übrigens Newtopia-Erfinder John de Mol 2006 schon einmal erfahren. Damals zeigte der Medienprofi auf seinem eigenen Sender Talpa (später Tien) zwei seiner Formatideen im Doppelpack: De Gouden Kooi (“Der goldene Käfig”) und die sechste niederländische Big Brother-Staffel. Der goldene Käfig wurde dabei ähnlich wie Utopia bzw. Newtopia als BB-Nachfolger gehandelt. Anders als der große Bruder war De Gouden Kooi jedoch zunächst auf unbestimmte Zeit angelegt. Zudem gab es anfänglich keine Nominierungen oder Rauswahlen. Um die Show und damit die Villa, in der die Teilnehmer lebten, zu gewinnen, blieb den Bewohnern nichts anderes übrig, als sich gegenseitig aus dem Haus zu ekeln. Stress war damit – anders als bei Big Brother – vorprogrammiert. Als bei De Gouden Kooi eine wöchentliche Möglichkeit zur Rauswahl unliebsamer Mitbewohner eingeführt wurde, konnte das später an den Start gegangene Big Brother 6 nicht mit der Action und den produzierten Schlagzeilen mithalten und erzielte deutlich niedrige Quoten als noch im Vorjahr. Die Rache dafür übte der große Bruder nun eben am Gouden Kooi-Nachfolger Newtopia.

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